Liebe Klappmaul Freunde!
Wir danken für den vielfältigen Protest gegen unseren Abschied, aber wie wir schon in unserem Rundbrief vor 2 Jahren geschrieben haben „Dieser Entschluss ist unumstößlich und kann durch Gang zum Bundesverfassungsgericht zwar beklagt aber nicht aufgehoben werden.“ So weit zur Rechtslage. Zur Gemütslage möchten wir aus einem unserer Stücke zitieren: „Abschiednehmen heißt nach vorne schauen“, der Spruch stammt aus einem der größten Klappmaul-Flops.
Wir zelebrieren ja heute keine Beerdigung sondern eher eine Ruhestandsfeier. Im Herbst sollen noch einige Klappmaul-Produktionen auf DVD erscheinen – allen voran die Sofa-Trilogie. Auch wir als Personen bleiben der Nachwelt und insbesondere dem Theater bzw. der Oper noch ein wenig erhalten. Und in sofern sind wir zuversichtlich, dass von uns noch in der einen oder anderen Form was zu hören und zu sehen sein wird.
Heute Abend wollen wir jedoch nicht über die Zukunft spekulieren sondern einen Rückblick auf 30 Jahre Klappmaul halten. Bevor wir das tun, gilt es aber einen großen Haufen loszuwerden: Einen großen Haufen Dank.
Beginnen wir bei der Stadt Frankfurt: Danke für die langjährige finanzielle Unterstützung, ohne die viele unserer Produktionen nicht realisierbar gewesen wären. Danke an die Damen und Herren vom Kulturausschuss, die das in all den Jahren entschieden haben, Danke an das Kulturamt der Stadt, und insbesondere persönlicher und herzlicher Dank an Dieter Bassermann.
Bedanken möchten wir uns auch beim Land Hessen, das unsere Auftritte in den sogenannten ländlichen Regionen des Landes finanziell unterstützt hat. Hier besonderer Dank an Dr. Konrad Schacht, der ja nun, wo es Klappmaul nicht mehr gibt, keinen Sinn mehr in seiner Tätigkeit sieht und ebenfalls in den Ruhestand geht.
Ein dickes Dankeschön an alle Veranstalter, die uns in der langen Zeit ihr Vertrauen geschenkt und uns ge- und befördert haben. Hier möchten wir stellvertretend nennen: Die Macher von den Bürgerhäusern Dreieich (die zu unseren ältesten Veranstaltern gehören), das Neue Theater Höchst (das so neu mittlerweile auch nicht mehr ist), das Stadttheater Rüsselsheim (das alle Sofa-Abbaurekorde gebrochen hat) und das Erholungshaus Leverkusen (dem wir als einzigen Gastspielort die Sofa-Trilogie zugestanden).
Eine Sonderposition unter den Veranstaltungsorten haben das unterhaus Mainz, in dem wir seit 1976 alljährlich gastieren durften, und natürlich das Theaterhaus Frankfurt, das seit 1991 der Stammplatz für unsere Heimspiele in dieser Stadt ist. – Der Theaterhaus-Crew gebührt an dieser Stelle noch ein zusätzlicher herzlicher Dank für die hervorragende Betreuung in unseren letzten Tagen, und ein Extra-Dank an die Technik-Crew für den großen Einsatz zum Gelingen der Abschluss-Gala.
Und weil das schönste Theater nichts ist ohne Publikum: Dank an alle Fans, die uns die Treue gehalten haben: Viele, die als Kinder Klappmaul gesehen haben, kamen schon mit ihren Kindern in unsere Vorstellungen – ihren Enkeln werden sie allerdings nur noch aus den Geschichtsbüchern über Klappmaul vorlesen oder eine Hörspiel-CD oder DVD kaufen können...
Dank auch an alle Kollegen und Theatergruppen, die uns immer wieder mit Rat und Tat zur Seite standen; hier sind insbesondere zu nennen unsere Freunde vom Theater Gruene Sosse, die nun auch unser Raum-Erbe in der Löwengasse antreten.
Ein herzlicher Dank an die vielen Freunde und Mitarbeiter, die in diesen 25 Jahren – sporadisch oder kontinuierlich – immer wieder dazu beigetragen haben, dass unsere verrückten Ideen in die Tat umgesetzt werden konnten; die uns durch alle Höhen und Tiefen der Produktionen begleitet haben: bei der Erfindung geistreich, bei der Umsetzung hilfreich, bei den Erfolgen glorreich und bei den Flops tränenreich.
Wollten wir hier alle wichtigen Namen aufzählen, müssten wir unser Ende noch um ein paar Tage verschieben. Aber einen paar müssen wir namentlich nennen.
Die Familie Reinhard, die uns seit über 27 Jahren unser Zuhause in der Löwengasse gab, uns dort vor 8 Jahren sogar einen eigenen Proben- und Aufführungsraum gebaut hat, ohne Rücksicht darauf, ob wir das überhaupt bezahlen können – Mäzenatentum, wie man es heute nur noch sehr sehr selten findet. Wir bedanken uns und verneigen uns vor Ihnen.
Bodo Kolbe und Annemarie Roelofs müssen wir nicht mehr vorstellen – aber danken müssen wir Ihnen von ganzem Herzen: Für die wunderbare Musik, die sie uns geschrieben und eingespielt haben, die ganz wesentlich zu dem unverwechselbaren Klappmaul-Stil beigetragen hat. Danke für die inspirierende Zusammenarbeit und die außermusikalische Freundschaft.
Und dann ist da natürlich noch der Eine, ohne den Theater à la Klappmaul nicht das gewesen wäre, was es war, der lange Zeit Mit-Gesellschafter war und bis zum Schluss Klappmaul von außen geprägt hat wie kein anderer: Manfred Roth. 19 Mal steht er als Regisseur auf unserer Premierenliste, so oft wie kein anderer. Herzlicher und freundschaftlicher Dank.
So, das könnte es an Danksagungen gewesen sein, wenn da nicht noch ein kleiner Kreis von Personen wäre, der immer im Hintergrund stand und dennoch wichtiger war als alle anderen, der allein durch Stillhalten mehr tat als mit Worten zu beschreiben ist, der all unsere Launen und Spinnereien – nicht immer klaglos – aber dennoch tapfer ertrug: Unser innigster und liebevollster Dank gilt unseren Beziehungspartnern und Familienangehörigen.
Danke!
Eure Klappmäuler
Klappmaul zu. Affe tot.
Wir, die wir hier sitzen, hatten alle unsere Chance, so oder so. Manch einer in diesem Auditorium wird sich jetzt schämen und die Tränen nach innen laufen lassen: Ich habe Hemden mögens heiß verpaßt, wird er oder sie sich sagen: Dadurch sind mir unvergleichliche Erkenntnisse verschlossen geblieben. Andere werden nie gesehen haben, wie ein Frosch fressen lernt – dennoch: Wir alle haben sie gehabt, die Klappmäuler, keiner kann sie uns nehmen und vor allem das nicht, was sie uns in dreißig Jahren geduldig und unaufdringlich gelehrt haben, nämlich: Es gibt eine unsterbliche Seele.
Nein, das hat mit Theologie oder Religion nichts zu tun, bei denen geht’s um Glauben: Wir Klappmaul–Erleuchteten aber wissen es : Es gibt einen göttlichen Hauch, denn wir haben ihn ja gesehen, viele, viele Male! Er strömte in alte Socken, dieser göttliche Hauch, in räudige Federboas oder Filzläppchen. Die Unsterblichkeit sah uns plötzlich mit dem Blick reiner Güte und Liebenswürdigkeit aus Knöpfen oder Styroporkugeln an. Wir durften unmittelbar an der Belebung toter und armseliger Materie teilnehmen. Das kann uns keiner mehr nehmen, und wenn wir nach dreißig Jahren nicht begriffen haben, daß hier unablässig an der Rettung unserer Seelen gearbeitet wurde, ist uns sowieso nicht zu helfen.
Insofern könnten wir uns mit den vielen Wundern unserer klappmäuligen Erfahrungen zurücklehnen und den Rest unserer Tage damit verbringen, glücklich über sie zu philosophieren. Allein die Sofatrilogie bedürfte einer jahrzehntelangen Exegese, so viel Weisheit versteckt sich in ihr und wird erst zögernd zur Erkenntnis. Nein, das ist überhaupt nicht blasphemisch gemeint, denn der Geist weht, wie die Schrift sagt, wo er will. Und hier hat er wahrhaftig geweht.
Wie gesagt, wir sind klüger geworden mit steter klappmäuliger Hilfe, tiefsinnig wie Kissen und heiter wie Bettwürste. Und haben begreifen gelernt, daß ein beseelter Putzlumpen weit mehr Einsicht verbreiten kann als , sagen wir, eine Bundestagsdebatte. Der regelmäßige Schöpfungsakt des Puppentheaters hat seine Zuschauer gelehrt, daß man auf dem dünnen Seil zwischen Bedeutung und Bedeutungslosigkeit tanzen lernen muß, will man glücklich werden. Und daß nichts unbeseelt ist, wenn man genau hinsieht.
Natürlich hat die Liebe zur Seele der Gegenstände für sensible Naturen manchmal schwierige Folgen: Plötzlich ist man außerstande, eine henkellose Tasse wegzuschmeißen, weil sie einen aus melancholischen Augen anschaut. Ein zerschlissenes Handtuch verlang gebieterisch Zuwendung, ein alter Kragen weint bitterlich, als er in die Kleidersammlung soll. Mir scheint, alle wirklichen Klappmaulaficionados kennen dieses abgründige Erschrecken über die Vergänglichkeit, das einem aus ganz banalen Alltagsgegenständen entgegenstarrt.
Auch in dieser Beziehung sind klappmaulsozialisierte Menschen zeitgeistresistent: Die sogenannte Wegwerfgesellschaft wird ihnen ewig verschlossen bleiben und die manische Mülltrennung ist auch nicht in ihrem Sinn: Da würde nämlich die Blume an ihrem Dialog mit einem Sofakissen gehindert!
Wir sind in den Jahren mit ihnen von jeder, wirklich jeder Autoritätsgläubigkeit geheilt worden: Kein Hugo wird bei uns eine Chance haben, und schon gar kein Obertrottel, obwohl die gar nicht selten sind. Wir wissen, woraus sie letztendlich gemacht sind: Ein Fetzen Stoff, ein Haufen Plüsch drumrum, Blech und Fransen: Das ist alles.
Klappmaul macht demokratisch. Das ganze Nahallamaschie, Nahallamaschooooh, sei es in Berlin oder bei der Deutschen Bank, im Frankfurter Magistrat oder wo immer es uns entgegenschallt – wir werden nicht drauf reinfallen, unsere Ohren werden sich nicht taubdröhnen lassen!
Ja, das alles haben wir ihnen zu verdanken, sie verpflichten uns, auf unsere Socken zu hören und den Mond mit den Augen eines Eichhörnchens zu betrachten. Dreißig Jahre, das muß reichen. Wers, wie gesagt, jetzt nicht begriffen hat, begreifts später auch nicht. Das Sofa war unsere Reifeprüfung, wir müssen in den Labyrinthen unseres Lebenssofas jetzt allein klarkommen.
ABER: Jetzt kommt das ganz große Aber: Was wird jetzt? Wer sorgt für die Erziehung kommender, die Größe im Kleinen vergnügt genießender Menschen? (Daß man lernen konnte, das Kleine in der vermeintlichen Größe zu erkennen, muß hier gar nicht erwähnt werden, es versteht sich von selbst! Daß manche Große in Wirklichkeit nichts als Lappen und alte Socken sind, aufgepustet und schnell zusammenfallend, hat man in seinen klappmäuligen Erziehungsjahren begriffen.) Es geht nicht an, daß nachfolgende Generationen das nicht mehr erleben. Und es geht nicht an, mit vagen Aussichten auf andere Puppentheater, andere Stücke und andere Konzepte zur Tagesordnung überzugehen. Denn dieses Frankfurter Modell hat eine Methode gefunden, die Welt so zu erzählen, daß man sie anschließend besser ertragen konnte. Auch die Entwicklung des immer variantenreicher belebten Materials, die Unsterblichkeit der Paradekissen, Filzhühner und Lappen darf nicht einfach abgeschlossen und zu Vergangenheit erklärt werden. Daß man aus Klappmaul keine Akademie machen und sie zwischen Styroporsäulen festsetzen kann, ist mir klar. Daß unsere Freunde, jetzt nicht mehr Klappmaul, sondern eben Freunde sind, zu Einzelnen geworden, muß man annehmen. Wenn auch grollend. Aber das Wissen darum, wie man den Leuten die unsterbliche Seele der Dinge zeigt und damit ihre eigene, muß doch aufgehoben, nein, weiterentwickelt werden.
Es gibt eine wunderbare Existenzform der Kunst, in Amerika üblicher als hier, aber auch in Europa da und dort zu finden, das sind die Sommerkurse. Ich könnte mir vorstellen, daß Sommerkurse für Puppenspieler, die sich von der Frankfurter Magie ein bißchen was abschauen wollen, wo die Lehrenden Einzelne bleiben und doch das gemeinsam geschaffene am Leben haltenund weiterentwickeln, eine tolle Möglichkeit wären.
Bevor jetzt der Chor einsetzt, der so schön und a capella KEIN GELD KEIN GELD singt: (Übrigens das besteinstudierte Lied des neuen Jahrtausends) – wir sollten gemeinsam überlegen, ob wir uns sowas denken können und ob wir das wollen. Erst erfinden, dann nach Geld graben und Banken überfallen! Das ist die richtige Reihenfolge, und das ist in letzter Zeit gelegentlich in Vergessenheit geraten.
Ich glaube, hier sitzt niemand, der nicht auch möchte: Da muß etwas weitergehen und nicht nur konserviert, sondern bearbeitet und geliebt werden.
Ich bin voll Zuversicht. Schließlich habe ich hier viele Male erlebt, wie der göttliche Hauch in Fetzen und Federn fuhr. Er wird uns nicht im Stich lassen.
Ich danke Ihnen.
Eva Demski sagte mir vorgestern Abend nach der derniersten Derniere, ich sei mürrisch. Das war eine glatte Untertreibung. Ich bin rundherum sauer, daß Klappmaul das Maul zuklappt. Angeblich für immer. Aber darauf komme ich noch. Jedenfalls, als ich vor 10 Jahren zum 20. Geburtstag geredet habe, fand ich das um vieles erfreulicher. Da hatte z.B. die Stadt Cambreling noch nicht geschlossen, und es gab die wunderbare Zeit der Koproduktionen mit Klappmaul: Wozzeck, Karneval der Tiere, Genevieve de Brabant. Tja, tempi passati.
Ihr habt vor über zwei Jahren einen einsamen Beschluß gefasst und uns vor vollendete Tatsachen gestellt. Damit seid Ihr zwar stilbildend bis hin zum Kanzler geworden – ohne Not gehen, heißt das Prinzip -, aber der will dann wenigstens noch mal die Leute in Wahlen befragen. Euch hingegen ist auch die Abstimmung mit den Füßen egal. Anti-demokratisch stellt Ihr Euch gegen Euer Publikum und schließt.
Dabei gäbe es so viel anderes zu schließen. Das Viererbündnis im Römer z.B. – lieber heute als morgen. Das technische Rathaus schließen und sprengen – was würde man jubeln. Die 2. Liga – für immer zuschließen für die Eintracht. Das neue Logo vom Museum für angewandte Kunst – einfach wegschließen. Jedes zweite Verkehrsschild, Stadtmöbel, Bodendecker – wegschließen. 2/3 der Stände vom Flohmarkt: schließen.
Ich bin gebeten worden, mich mit dieser Liste zurückzuhalten. Aus Zeitgründen. o.k.
Also ein anderer Punkt. Immer wieder habe ich im Zusammenhang mit der Schließung gehört, man müsse eben gehen, wenn es am schönsten sei. Diesen Spruch habe ich schon als Kind gehasst. Er hat so etwas Ur-Protestantisches, so eine ethische Süßholzraspelei, um Verzicht zu predigen. Außerdem ist der Spruch 1. in sich unlogisch und 2. verlogen. Man hört auf, wenn man weiß, dass es nicht mehr am schönsten ist. Für uns war Klappmaul jedes Mal am schönsten, und für Euch eben weniger. Das zumindest muß ich respektieren. Allerdings ungerne.
Weiter. Wenn nun die Ohren gespitzt wären nach Berlin – ich zumindest könnte das verstehen. Oder, um ein altes Thema aufzugreifen, nach Mailand; gut. Besser noch nach Rom – das hat der Papst nun schon erledigt. Oder nach Barcelona, nach Paris, nach Budapest, nach Stockholm. Nein, eine besondere Strafe für Frankfurt muß es sein: Belfast, Hansgeorg Mahler, Belfast ziehst Du uns vor. Halb so groß wie Frankfurt, bis vor einigen Jahren Hauptstadt dieser mittelalterlichen Religionskriege. Wir haben hier nur Heuschrecken. Auch so was. So lange die Grashüpfer hießen, waren sie doch in Ordnung, nicht?
In Belfast jedenfalls willst Du Kunst machen, Theaterkunst, Skulpturenkunst. Für die Kinder willst Du nichts mehr machen, das war Frankfurt. Zum Erwachsensein nach Belfast. Wahrscheinlich das Land der Lehnen. Das Land der Lehnen mit der Seele suchen. Kennst Du das Land, wo die - na, ga, ga, gack.
Apropos Kinder. Ich hatte immer gedacht, man könnte aus Euren wilden Phantastereien – also dem, was Theater am schönsten macht – ein Spiel-Curriculum für Vorschule und die ersten Grundschuljahre entwerfen, Programmpunkt: Köpfe, Herzen, Sinne öffnen (nicht schließen …). Nichts wird daraus, nein, die Kinder sollen wieder vor den Fernseher geschoben werden – außer, Gordon Vajen, Du verdoppelst Dein Engagement an dieser Stelle.
Belfast und Hansgeorg Mahler hatten wir. Der Rest will „ans andere Ufer, ins Museum“. Mit aller Kraft habt Ihr die Sofatrilogie auf Zelluloid bannen lassen, von allen anderen Produktionen gibt es Videoaufnahmen. Eure Puppen, die verwegenen Bühnenkonstruktionen – all das soll ins Museum wandern, das Schriftliche ins Stadtarchiv. An diese Stelle gehören, meine Damen und Herren, einige kultursoziologische Betrachtungen über die Musealisierung der Gesellschaft. Angesichts des Ernstes der Lage lasse ich das.
Lieber schlage ich einen jährlichen Klappmaultag vor. Immer am 25. Mai gehen wir alle gemeinsam ins Museum, trauern, weinen und trösten uns, geben dem- oder derjenigen, der/die nach dem Klappmaulprinzip die leichteste Bespielbarkeit des Mundes gezeigt hat, den Sofaorden in Form eines kleinen, hässlichen, karierten Kissens – Bewerber können Sänger, Blech- und Holzbläser und Politiker sein. Dann schauen wir uns gemeinsam im Kommunalen Kino die Sofatrilogie an und tauschen anschließend Videos der anderen Produktionen. Es wird nichts kopiert, nichts verkauft, bis die Schwarzmarktpreise im In- und Ausland so hoch sind, dass wir aus den Erlösen ein eigenes Klappmaulmuseum mit angeschlossenem Kindergarten und Altenheim bauen können.
Dazu brauchen wir 17 Jahre. 2022 wird Hansgeorg 70 (viele von uns mehr oder weniger auch). Er hat versprochen, dass er dann wieder Kinderstücke machen will. Und Michael Kloss und Thomas Korte und Alexander Krein bleiben ja vielleicht hier und tummeln sich in klappmaulnahen Gefilden, in der Kinderwerkstatt, beim Stücke-Schreiben, und machen dann ja wieder mit – denn wir sind dann dort angekommen, wo uns Frank Schirrmacher schon hinprognostiziert hat: in der Methusalemgesellschaft. Die ist ohne Klappmaul nicht zu ertragen.
Also denkt daran, haltet Euch gut – erst danach können wir nach Rente gehen.
Ich habe gelernt, 17 Jahre heißt bei Euch: bis morgen.
Also: bis morgen!
Olopo? pitnava. Luamppalk! – Luamppalk!
Olopo? pittava. Luamppalk! – Luamppalk!
Ein Aufatmen geht durch Deutschland.
Ein Aufatmen geht durch Deutschlands Kleiderschränke.
Endlich hat der Missbrauch von Hosen, Hemden, Socken, Kissen, Lappen und Putzlappen ein Ende gefunden, es war nicht mehr zu ertragen. Nie wieder müssen sich die Klamotten fürchten, für den Schabernack und die Unter-haltung auch noch von Kindern — die dieses Spiel womöglich zuhause nachahmten — herhalten zu müssen.
Endlich hört Klappmaul auf.!
Es ist schrecklich.
Alle stehen wir ratlos da.
Wer soll sie ersetzen?
Wer soll uns jetzt die Welt erklären?
Selbst die Bundesregierung weiß nicht weiter.
1975 nehmen sich zwei junge Männer die Freiheit ein kleines Figurentheater zu gründen. ihr Ziel ist es — ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend — am Projekt der gesellschaftlichen Aufklärung mitzuarbeiten. Ihre Freiheit verbinden sie mit der Verantwortung, diesen Impuls denen zugute kommen zu lassen, die es am dringendsten brauchen:
den Kindern.
Ihr Ursprungsimpuls entwickelt sich gegen das reaktionäre Kaspertheater, jener dummen, unaufgeklärten und autoritären Figur, die munter drauflosschlagend mit frechem Mundwerk die alte Ordnung aufrechterhält.
Die guten Seiten der Figur haben sie dennoch mitgenommen:
das lose Mundwerk und die immanente Opposition der naiven Respektlosigkeit.
So wird probiert, öffentlich und auf der Bühne etwas auszuprechen, was sonst im Heimlichen blieb: „Popo“ zum Beispiel, oder „Kacka“ in „Ein Frosch lernt fressen“.
30 Jahre später wird diese Stück wieder gespielt, (zwischenzeitlich war es nicht notwendig) - doch heute breitet sich eine neue Prüderie bei Eltern, Kindern und bei Erzieherinnen aus, die es notwendig macht, einfache Dinge wieder öffentlich beim Namen zu nennen.
Ihre ersten Stücke drehen sich um Sauberkeit (Ab in die Pfütze), Solidarität (Ich auch) und Integration (Mach doch mal die Klappe auf).
Der Kampf ihrer Helden gegen eine autoritäre Struktur im Privaten oder Gesellschaftlichen kommt in fast allen Stücken vor. Ob sich das Hemd Gustav (mit solidarischer Hilfe der anderen Klamotten) raffiniert gegen seinen Besitzer durchzusetzen versucht oder das Sofakissen Siggi sich gegen Hugo Boss oder die faschistoiden Trottel zur Wehr setzt.
So üben sich die Figuren im Sprengen von Ketten und Eti-Ketten.
Doch je weiter die Stücke fortschreiten, desto einsamer wird der Kampf und verworrener die Geschichte der Solidarität. Ganz am Schluß ihres letzten Stückes — der Sofadämmerung —verlässt das Kissen Siggi die Bühne und lässt die anderen Kissen auf dem Sofa (und uns in der Scheiße) zurück.
Die Stücke spiegeln aber nicht nur den individuellen Kampf wider sondern genauso auch gesellschaftliche Strömungen, wenn die Trotteln 1990 „so ein Tag, so wunderschön wie heute“ die Opferung des Idealismus vorwegnehmen oder sie laut johlend „Ole, ole ole ole“ das Innere des Sofas zerstören. Natürlich nicht ohne einen Seitenhieb auf die Lokalpolitik: „Kreuzwegbegrünung nenne se des. Nix als Ferz im Kopp. Dafür hamse Geld und wir Bettwürst kriegen nix.“
Aber die Klappmäuler haben nicht nur auf der Bühne gesellschaftliche Zustände reflektiert. Sie haben auch kräftig kulturpolitisch mitgemischt.
In ihrer legendären Werkstatt in der Löwengasse fanden viele offizielle und konspirative Sitzungen statt:
Der Freien Theater Frankfurt, der Mouson Kulturinitiative, der Bürgerbewegung gegen die Städtebauliche Neuordnung AltBornheims, der Freien Kulturinitiativen, der Verhandlungen mit Politikern über Förderstrukturen und Finanzierungen. So Frei das Klappmaul war, ein Kindertheater zu gründen, so frei waren sie auch von öffentlicher Förderung.
Ihnen ist es wesentlich zu verdanken, das wir heute in Frankfurt eine Theaterförderung haben, die beispielhaft ist. (Dennoch bleibt anzumerken, daß die Förderung des Kindertheaters in Frankfurt nicht einmal 1% des Theateretats ausmacht, 99% für Erwachsene, dieser Skandal sollte in allernächster Zukunft geändert werden. Dies wäre sicherlich ein schönes Dankeschön der Stadt zum 30jährigen Jubiläum des Klappmaultheaters).
Durch die vorausschauende Kulturpolitik ist uns zwar ist der Löwen hof für das Kindertheater erhalten geblieben (das Theater Grüne Sosse wird dort einziehen), aber ist es noch dasselbe? Vielleicht ohne es zu wissen, sind die Klappmäuler die eigentlichen Motoren und Hansgeorg sozusagen die „Grande Dame“ des Freien Theaters gewesen. Wird das alles nicht mehrt gebraucht?
Wer von Ihnen erinnert sich noch an die „Grüne Raupe“?
Ich meine nicht die Raupe „Zack“ aus dem Stück „Drunter und Drüber“. In den 80er Jahren trat die Partei „Die Grünen“ zum ersten Mal ins öffentliche Leben. Begeleitet wurde ihr Wahlkampf von einer Grünen Raupe, die den Zug anführte. Dieses war — sie ahnen es schon – eine Figur des Klappmaultheaters. Die Grünen wurden gewählt, der erste Turnschuhminister folgte …
Jetzt ist „Grüne Raupe“ Außenminister — noch Außenminister – und hat wahrscheinlich vergessen, dass er eigentlich eine Klappmaulfigur ist.
Aber trotz, oder wegen der aktuellen Situation kann Klappmaul auch der Bundesregierung nicht mehr helfen: Klappmaul locuta, causa finita — die Auflösung ist beschlossen. Und so kündet die Auflösung des Klappmaultheater möglicherweise auch vom Ende jener Alternativbewegung, der 70er und 80er Jahren die entweder integriert, korrumpiert, kommerzialisiert oder eliminiert worden ist.
Und so stehen wir heute allein da:
wer antizipiert die gesellschaftlichen Entwicklungen, reflektiert die Frakturen der Gegenwart und legt so liebevoll das Innere eines Kissens offen?
Das Klappmaul braucht uns nicht — wir brauchen das Klappmaul.
Nicht ganz: auch sie brauchten uns, das Publikum. Niemand beherrschte den Dialog mit dem Publikum so gekonnt wie die Klappmäuler und dabei pflegten sie das heimatliche Idiom so vortrefflich, das sie allein dafür schon einen Orden verdient hätten.
Diese Unnachahmliche ist auch das Problem, was sich für das Theaterhaus stellt.
Für das Theaterhaus markiert das Ende des Klappmaultheaters eine deutliche Zäsur.
Wir bedauern das Ende außerordentlich. Wir beabsichtigen auch nicht, diese Lücke zu füllen, denn das können wir nicht. Niemand kann das.
Zwar wird es schon im Herbst die erste Premiere des Figurentheaters aus Erfurt geben, ich lade sie auch alle herzlich ein, es sind hervorragende Kollegen, aber sie sind nicht Klappmaul. Und auch wenn Sie im Februar bereits „Opus 10“ von in mit Oskar Mahler hier auf dieser Bühne sehen können —es ist nicht Klappmaul.
Klappmaul gibt es nicht mehr.
Der schlimmste Moment für die Klappmäuler und mich kommt, wenn sie den Generalschlüssel abgeben und als Gesellschafter des Theaterhauses ausscheiden.
Dann sind sie wieder frei: frei etwas Neues zu beginnen, frei von der Verantwortung für Klappmaul und das Theaterhaus.
Selbstverständlich werden sie zu Ehrenmitgliedern des Theaterhauses ernannt. Und als Zeichen unserer Verbundenheit mit Euch überreiche ich Euch heute den Generalschlüssel, damit ihr Euch auch in Zukunft hier zuhause fühlen könnt.
Bei dem was die Klappmäuler geleistet haben, sind 30 Jahre auch genug.
Und nicht nur alle Intendanten Deutschlands sollten ihnen zu Füßen liegen, sondern auch die ErzieherInnen, LehrerInnen und PolitikerInnen
und das Publikum sollte sich erheben und hinaufgetragen fühlen zu jenen Himmeln, in denen zackige Raupen mit trunkenen Eichhörnchen Monde suchen, zu den Sofahimmeln des eigenen Ichs.
Wir danken Euch.