Rede von
Gordon Vajen
zur Klappmaul-Abschieds-Gala am 27. Mai 2005

 

Olopo? pitnava. Luamppalk! – Luamppalk!

Olopo? pittava. Luamppalk! – Luamppalk!

Ein Aufatmen geht durch Deutschland.

Ein Aufatmen geht durch Deutschlands Kleiderschränke.

Endlich hat der Missbrauch von Hosen, Hemden, Socken, Kissen, Lappen und Putzlappen ein Ende gefunden, es war nicht mehr zu ertragen. Nie wieder müssen sich die Klamotten fürchten, für den Schabernack und die Unter-haltung auch noch von Kindern — die dieses Spiel womöglich zuhause nachahmten — herhalten zu müssen.

Endlich hört Klappmaul auf.!

 

Es ist schrecklich.

Alle stehen wir ratlos da.

Wer soll sie ersetzen?

Wer soll uns jetzt die Welt erklären?

Selbst die Bundesregierung weiß nicht weiter.

 

1975 nehmen sich zwei junge Männer die Freiheit ein kleines Figurentheater zu gründen. ihr Ziel ist es — ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend — am Projekt der gesellschaftlichen Aufklärung mitzuarbeiten. Ihre Frei­heit verbinden sie mit der Verantwortung, diesen Impuls denen zugute kommen zu lassen, die es am dringendsten brauchen:
den Kindern.

Ihr Ursprungsimpuls entwickelt sich gegen das reaktionäre Kaspertheater, jener dummen, unaufgeklärten und autoritären Figur, die munter drauflosschlagend mit frechem Mundwerk die alte Ordnung aufrechterhält.

Die guten Seiten der Figur haben sie dennoch mitgenommen:
das lose Mundwerk und die immanente Opposition der naiven Respektlosigkeit.

So wird probiert, öffentlich und auf der Bühne etwas auszuprechen, was sonst im Heimlichen blieb: „Popo“ zum Beispiel, oder „Kacka“ in „Ein Frosch lernt fressen“.

30 Jahre später wird diese Stück wieder gespielt, (zwischenzeitlich war es nicht notwendig) - doch heute breitet sich eine neue Prüderie bei Eltern, Kindern und bei Erzieherinnen aus, die es notwendig macht, einfache Dinge wieder öffentlich beim Namen zu nennen.

Ihre ersten Stücke drehen sich um Sauberkeit (Ab in die Pfütze), Solidarität (Ich auch) und Integration (Mach doch mal die Klappe auf).

Der Kampf ihrer Helden gegen eine autoritäre Struktur im Privaten oder Gesellschaftlichen kommt in fast allen Stücken vor. Ob sich das Hemd Gustav (mit solidarischer Hilfe der anderen Klamotten) raffiniert gegen seinen Besitzer durchzusetzen versucht oder das Sofakissen Siggi sich gegen Hugo Boss oder die faschistoiden Trottel zur Wehr setzt.

So üben sich die Figuren im Sprengen von Ketten und Eti-Ketten.

 Doch je weiter die Stücke fortschreiten, desto einsamer wird der Kampf und verworrener die Geschichte der Solidarität. Ganz am Schluß ihres letzten Stückes — der Sofadämmerung —verlässt das Kissen Siggi die Bühne und lässt die anderen Kissen auf dem Sofa (und uns in der Scheiße) zurück.

Die Stücke spiegeln aber nicht nur den individuellen Kampf wider sondern genauso auch gesellschaftliche Strömungen, wenn die Trotteln 1990 „so ein Tag, so wunderschön wie heute“ die Opferung des Idealismus vor­wegnehmen oder sie laut johlend „Ole, ole ole ole“ das Innere des Sofas zerstören. Natürlich nicht ohne einen Seitenhieb auf die Lokalpolitik: „Kreuzwegbegrünung nenne se des. Nix als Ferz im Kopp. Dafür hamse Geld und wir Bettwürst kriegen nix.“

Aber die Klappmäuler haben nicht nur auf der Bühne gesellschaftliche Zustände reflektiert. Sie haben auch kräftig kulturpolitisch mitgemischt.

In ihrer legendären Werkstatt in der Löwengasse fanden viele offizielle und konspirative Sitzungen statt:

Der Freien Theater Frankfurt, der Mouson Kulturinitiative, der Bürgerbewegung gegen die Städtebauliche Neu­ordnung Alt­Bornheims, der Freien Kulturinitiativen, der Verhandlungen mit Politikern über Förderstrukturen und Finanzierungen. So Frei das Klappmaul war, ein Kindertheater zu gründen, so frei waren sie auch von öffentlicher Förderung.

Ihnen ist es wesentlich zu verdanken, das wir heute in Frankfurt eine Theaterförderung haben, die beispielhaft ist. (Dennoch bleibt anzumerken, daß die Förderung des Kindertheaters in Frankfurt nicht einmal 1% des Theateretats ausmacht, 99% für Erwachsene, dieser Skandal sollte in allernächster Zukunft geändert werden. Dies wäre sicherlich ein schönes Dankeschön der Stadt zum 30jährigen Jubiläum des Klappmaultheaters).

Durch die vorausschauende Kulturpolitik ist uns zwar ist der Löwen hof für das Kindertheater erhalten geblieben (das Theater Grüne Sosse wird dort einziehen), aber ist es noch dasselbe? Vielleicht ohne es zu wissen, sind die Klappmäuler die eigentlichen Motoren und Hansgeorg sozusagen die „Grande Dame“ des Freien Theaters gewesen. Wird das alles nicht mehrt gebraucht?

Wer von Ihnen erinnert sich noch an die „Grüne Raupe“?

Ich meine nicht die Raupe „Zack“ aus dem Stück „Drunter und Drüber“. In den 80er Jahren trat die Partei „Die Grünen“ zum ersten Mal ins öffentliche Leben. Begeleitet wurde ihr Wahlkampf von einer Grünen Raupe, die den Zug anführte. Dieses war — sie ahnen es schon – eine Figur des Klappmaultheaters. Die Grünen wurden gewählt, der erste Turnschuhminister folgte …

Jetzt ist „Grüne Raupe“ Außenminister — noch Außenminister – und hat wahrscheinlich vergessen, dass er eigentlich eine Klappmaulfigur ist.

Aber trotz, oder wegen der aktuellen Situation kann Klappmaul auch der Bundesregierung nicht mehr helfen: Klappmaul locuta, causa finita — die Auflösung ist beschlossen. Und so kündet die Auflösung des Klappmaul­theater möglicherweise auch vom Ende jener Alternativbewegung, der 70er und 80er Jahren die entweder integriert, korrumpiert, kommerzialisiert oder eliminiert worden ist.

Und so stehen wir heute allein da:

wer antizipiert die gesellschaftlichen Entwicklungen, reflektiert die Frakturen der Gegenwart und legt so liebevoll das Innere eines Kissens offen?

Das Klappmaul braucht uns nicht — wir brauchen das Klappmaul.

Nicht ganz: auch sie brauchten uns, das Publikum. Niemand beherrschte den Dialog mit dem Publikum so gekonnt wie die Klappmäuler und dabei pflegten sie das heimatliche Idiom so vortrefflich, das sie allein dafür schon einen Orden verdient hätten.

Diese Unnachahmliche ist auch das Problem, was sich für das Theaterhaus stellt.

Für das Theaterhaus markiert das Ende des Klappmaultheaters eine deutliche Zäsur.

Wir bedauern das Ende außerordentlich. Wir beabsichtigen auch nicht, diese Lücke zu füllen, denn das können wir nicht. Niemand kann das.

Zwar wird es schon im Herbst die erste Premiere des Figurentheaters aus Erfurt geben, ich lade sie auch alle herzlich ein, es sind hervorragende Kollegen, aber sie sind nicht Klappmaul. Und auch wenn Sie im Februar bereits „Opus 10“ von in mit Oskar Mahler hier auf dieser Bühne sehen können —es ist nicht Klappmaul.

Klappmaul gibt es nicht mehr.

Der schlimmste Moment für die Klappmäuler und mich kommt, wenn sie den Generalschlüssel abgeben und als Gesellschafter des Theaterhauses ausscheiden.

Dann sind sie wieder frei: frei etwas Neues zu beginnen, frei von der Verantwortung für Klappmaul und das Theaterhaus.

Selbstverständlich werden sie zu Ehrenmitgliedern des Theaterhauses ernannt. Und als Zeichen unserer Verbundenheit mit Euch überreiche ich Euch heute den Generalschlüssel, damit ihr Euch auch in Zukunft hier zuhause fühlen könnt.

Bei dem was die Klappmäuler geleistet haben, sind 30 Jahre auch genug.

Und nicht nur alle Intendanten Deutschlands sollten ihnen zu Füßen liegen, sondern auch die ErzieherInnen, Leh­rerInnen und PolitikerInnen

und das Publikum sollte sich erheben und hinaufgetragen fühlen zu jenen Himmeln, in denen zackige Raupen mit trunkenen Eichhörnchen Monde suchen, zu den Sofahimmeln des eigenen Ichs.

Wir danken Euch.