Gerhard Schedl

RIESE, ZWERGE, MENSCHENFRESSER

Opern-Uraufführung nach Oscar Wilde


Szenenfoto

 


Inhalt

Während Oscar Wildes Riese Jahr für Jahr so sehnsüchtig wie vergeblich auf die Wiederkehr des von ihm geretteten Kindes wartet, wandeln sich im 2. Akt dieser Oper des Autorenduos Vogg-Schedl die Kinder zu Typen aus dem Rocker-und Punker-Milieu ...


Stab

Libretto: HERBERT VOGG
(nach dem Wilde-Märchen  
"Der selbstsüchtige Riese"
)
Musik: GERHARD SCHEDL

Ein Auftragswerk des Carinthischen Sommers
Uraufführung: 2. August 2000  
im Congress Center Villach

Musikalische Leitung: PETER KEUSCHNIG
Inszenierung: MANFRED ROTH
und das KLAPPMAUL-THEATER FRANKFURT


Besetzung

Riese
Menschenfresser
Julia

Bärbel
Maria
Georg
Hannes

Frühling

Hagel
Schnee
Nordwind
Winter

Tenorsaxophon

Robert Holzer
Martin Winkler
Saule Seryte

Judith Kopecky
Ursula Fiedler
Thomas Scheler
Michael Nowak

Christine Whittlesey

Dietmar Kerschbaum
Christian Bauer
Miljenko Turk
Andreas Jankowitsch

Thomas Schön


Komponist und Regisseur

Gerhard Schedl

der Komponist
 

Manfred Roth
Manfred Roth

der Regisseur
 

 

- geb. 1957 in Wien,
- Studium dort an der 
  Hochschule f. Musik 
  und darstell. Kunst, 
- 1981-2000 Lehrstuhl am
  Hochschen Konservato-
  rium in Frankfurt/Main
- gest. 2000, Eppstein/Ts

Werke u.a.:
- Der Großinquisitor
- Der Schweinehirt
- Triptychon
- Glaube, Liebe,
  Hoffnung
- Fremd bin ich
  eingezogen
- Fräulein Julie

- geb. 1950, Frankfurt,
- 1962-1973 Statisterie
  an der Oper Frankfurt
- 1975 Magister der
  Anglistik
- 1976-84 Gesellsch.d.
  Klappmaul Theaters!
- seit '84 freier Regis-
  seur u. Schauspieler
- 1997-2000 Professur
  an der Detmolder
  Musikhochschule
- seit 2000 Lehr
aufträge
  Madison (Vis), USA
  Detmold, BRD

Regiearbeiten u.a.:
- Pierrot Lunaire
- Waiting for Godot
- Hamlet
- Endgame
- Draußen vor der Tür
- Goldkind
- Karneval der Tiere

Opern-Inszenierungen:
- Oberon
- Genevieve de Brabant
- Orpheus i.d.Unterwelt
- Dido und Aeneas

Schauspieler u.a. bei:
- Harald Weiss
- Peter Ries
- Willy Praml
 

 

ausführl. Biographie

ausführl. Biographie

 

Die Idee zur Oper

Gedanken zur Regie


Die Idee zur Oper
von Gerhard Schedl

Anfangs der 90iger Jahre war ich bemüht einen Stoff für eine neue Kinderoper zu finden. Nach dem internationalen Erfolg meiner ersten kammermusikalischen Kinderoper „Der Schweinehirt“ (1981), die ich nach der Geburt meines Sohnes Johannes für ihn geschrieben hatte, wollte ich meinem zweiten Sohn Andreas ebenfalls ein Musiktheaterstück dedizieren. Die Wahl des Sujet fiel auf Anraten meiner Frau auf das Märchen „Der selbstsüchtige Riese“ von Oskar Wilde, das sie schon oft meinen Jungs vor dem Zubettgehen vorgelesen hatte.

Zusammen mit Herbert Vogg konnte ich daran gehen aus der kurzen Wild’schen Prosa eine bühnentaugliche Dramaturgie für ein zeitgenössisches, politisch-engagiertes Bühnenstück zu entwickeln, das sich nach und nach von einem Märchen für Kinder zu einem Jugendstück und letztendlich zu einem allgemein gültigen Musiktheater gewandelt hat. Die Parabel vom Kind und Riesen, welche von christlicher Verkündigungssymbolik spricht, war so nicht zu halten. Vom Anfang an war mir klar, daß die Geschichte einerseits wertneutral und dennoch ethisch nachvollziehbar in unsere Zeit transferiert und anderseits dramatisch weitererzählt werden sollte. Die eigentliche Idee war allerdings in einer radikalen, aus der Befragung der Originalstory resultierenden Sichtweise zu suchen, die sich in der gleichsam dialektischen Brechung der einzelnen musikalischen und dramaturgischen Parameter manifestieren mußte. Besonders in der Ambivalenz unterschiedlicher Zeit- und Erfahrungsebenen von Jung und Alt, von fiktiver Märchen- und realer Jetztwelt spiegeln sich die gewählten Sprach- und Musikmuster in Gestus und Textur wieder.

So wie in der Veränderung der niedlichen „Kleinen“ zu uniformen „Großen“ – als Jugendbande organisiert und in der Gestalt überdimensionaler Puppen paraphrasiert, und von mystisch zu fürchtenden Riesen/Menschenfresser zu alten, gebrechlichen, fast schon ängstlichen Menschen eine analoge Transformation von Sprache und Musik eintritt, so werden aus den allegorischen Figuren der „4 wilden Gesellen“ (Hagel, Schnee, Nordwind und Winter) tatsächliche Personen eines heutigen kriminellen Milieus. Konflikt, Schuldit treffen in dieser Konstellation in besonderem Maße aufeinander. Gerade solche menschlichen Grundbedürfnisse sind in ihrer didaktischen Notwendigkeit zeitlos. Die Ironie besteht nun darin, daß aus einer märchenhaften Parabel eine neue, nicht weniger idealistische entstanden ist und in gewisser Weise macht mich das zufrieden. und Läuterung der Wild’schen Vorlage werden also in der Brechung des ersten Aktes in seiner bewußt naiven, märchenhaft-idealisierenden Kolorierung, durch den nüchterneren, realistischen zweiten Akt auf eine heutig-nachvollziehbare Ebene projiziert. Ist der 1. Akt in seiner musikalischen und dramaturgischen Anlage bewußt naiv, ja verniedlichend – eben wie sich Erwachsene gerne die Welt von Kindern vorzustellen pflegen - , so muß der 2.Akt schon als traumatischer Bruch in eine unprosaische Realität empfunden werden. Demgegenüber verkörpern lediglich zwei Frauenfiguren eine allgemeingültige Konstante der Hoffnung und der Geborgenheit in der nicht gebrochenen Allegorie des Frühlings und der Metapher der „Mutter Erde“ in der Gestalt der Julia, der „Haushälterin“ des Riesen.

Fiktion und Wirklichkeit treffen in dieser Konstellation in besonderem Maße aufeinander. Gerade solche menschlichen Grundbedürfnisse sind in ihrer didaktischen Notwendigkeit zeitlos. Die Ironie besteht nun darin, daß aus einer märchenhaften Parabel eine neue, nicht weniger idealistische entstanden ist und in gewisser Weise macht mich das zufrieden.


Gedanken zur Regie
von Manfred Roth
Januar 2000

Ist man davon überzeugt, dass die Interpretation eines Kunstwerks immer zuerst an seinen Brüchen und Widersprüchen anzusetzen habe, fällt einem der Einstieg in die konzeptionelle Arbeit an der neuen Oper „Riese, Zwerge, Menschenfresser“ ziemlich leicht. Quer durch das Stück, zu dem Herbert Vogg das Libretto verfasst und Gerhard Schedl die Musik komponiert hat, geht, von den Autoren genau berechnet und definiert, ein abgrundtiefer Riss.

Im ersten Akt herrscht musikalisch wie textlich ein märchenhafter Grundton. Und gewiss folgen die Grundzüge der Handlung zunächst der Vorlage, nämlich Oscar Wildes Märchen vom selbstsüchtigen Riesen, der die Kinder nicht in seinem Garten spielen lassen will, deswegen eine Mauer hochzieht und ein Verbotsschild aufstellt. Genau diese Mauer und, so ist es gemeint, die Hartherzigkeit des Rie­sen, bewirken aber auch, daß der Frühling nicht in den Garten kommt. Dort setzt sich der Winter mit seinen Spießgesellen Nordwind, Schnee und Hagel fest. Erst als, verbotenerweise, wieder Kinderfüße den Gartenboden betreten, haben die Blumen Lust zum Blühen und schlagen die Bäume aus. Der Riese erkennt seinen Fehler, wird mild, hilft insbesondere dem scheuesten der Kinder und wird mit der Zuneigung dieses Knaben belohnt. Alles wird gut, alle sind glücklich.

Im denkbar größten Gegensatz dazu steht der zweite Akt. Schedl schlägt musikalisch krasse, sperrige Töne an, die Atmosphäre ist definitiv heutig. Die Sprache lehnt sich daran an. Aus den vier wilden winterlichen Gesellen, die im ersten Akt mit fast musical-ähnlichen Shownummern auftrumpften, sind Drogendealer geworden. Die Kinder des ersten Aktes sind nun Halbwüchsige und bewegen sich im entsprechenden Milieu.

Bei Oscar Wilde wartet im weiteren Verlauf der Riese jahrelang auf die Rückkehr des Knaben, den keines der anderen Kinder gekannt hat. Erst am Ende seines Lebens erblickt er ihn wieder unter ei­nem Baum stehend, es wird klar, dass es sich um das Jesuskind handelt, das nun gekommen ist, den Riesen zu sich, in den Garten des Paradieses mitzunehmen.

Bei Vogg und Schedl wird aus dem verführerischen Garten des Riesen eine dürftige Schrebergarten­idylle, der Riese selbst ist ein altes Männlein geworden. Und dasjenige der „Kinder“, das sich am deutlichsten von den anderen abhebt, ist nicht mehr der stille scheue Knabe sondern Hannes, ein schon im ersten Akt angeberischer und leicht betrügerischer Bursche, der nun, heroinabhängig, längst zum Dieb geworden, überschuldet in den Fängen der Dealer zappelt, verzweifelt seine Freunde um Hilfe anfleht. Er ist es auch schließlich, der, erwischt bei dem Versuch, den alten Riesen zu berauben, ihn mit einer Eisenstange niederstreckt. Und dennoch zieht der Frühling erneut ein und kündet von Hoffnung.

Wie geht das zusammen? Und soll es überhaupt zusammengehen?

Es wird in der Aufführung etliche formale Elemente geben, die die Disparatheit der beiden Teile betonen. Alleine dadurch, daß die Jugendlichen des zweiten Teils durch Puppen dargestellt werden, ist eine andere Ebene betreten. Zusammen mit den Mitgliedern des Klappmaul Theaters wurden dafür Leitlinien festgelegt: Offene Führung, d.h. die Spieler sind zu sehen. Verzerrung der Dimensionen. Während der Riese mit den anderen Personen seiner Welt eigentlich „kleiner wird“, werden die Puppen hochgeschossen sein, eigentlich „zu groß“, herausgewachsen. Diese Jugendlichen singen auch nicht mehr, sie sprechen. Hierfür soll eine zitierende, rhythmisch formalisierte Sprechweise gefunden werden, die obendrein nicht direkt sondern über Mikrophon in den Saal gelangt. Gleichwohl sollen auch die (selbstverständlich erwachsenen) Sänger, die die Kinder des ersten Aktes verkörpern, gelegentlich präsent sein, so dass sich durch Doppelung, fast Verdreifachung der Personen hyper-reale Bilder ergeben. Keinesfalls angestrebt ist naturalistische, quasi dokumentarische Heutigkeit. Nicht einfach eine Fortschreibung in eine als gefährlich begriffene Gegenwart sei Ausdruck dieses zweiten Aktes, eher eine sich aus den unter den Teppich gefegten Restschulden des ersten Aktes herausentwickelnde Hochrechnung, eine Angstvision. Pascale Arndtz setzt mit ihrem Bühnenbild die Mauer des ersten Aktes als ebenso klares Zeichen wie die „ausgepackte“, sprich ernüchternde Gartenwelt des Riesen.

Bei so vielen Gegensätzen, der Handlung bewusst eingeschriebenen Brüchen ist (in dialektischer Um­kehrung des eingangs Erwähnten) allerdings auch herauszuarbeiten, wie sich der erste Akt zum zweiten bindet. Die große Versöhnung des ersten Finales, musikalisch sehr ausgebreitet, soll als brü­chige gezeigt werden. Im glücklichen Schlussbild muss sowohl die Schuld des Riesen (für ein Kind ist jeder Erwachsene ein Riese, und ebenso gigantisch sind seine Verbote), der zweifelhafte Charakter des Hannes und die Angst aller, wie es weitergehen soll, enthalten sein. Was wird aus der nachkom­menden Generation? Was für eine Welt bereiten wir ihr? Welche Fehler haben wir mit ihr gemacht? Können wir sie nicht für immer behüten? Woher ist Sicherheit zu bekommen? Viele offene Fragen, Ängste angesichts eines vorläufigen happy end.

Die Bühne, die Personenführung, beides wird ironische Gegenbehauptungen zur musikalischen Apo­theose aufstellen.

Und dieses Schlussbild wird zum Beginn des zweiten Aktes wieder anzitiert, nicht als Kitt sondern als Klammer, die zeigt, was das eine mit dem anderen zu tun hat.

Das weitaus traurigere Schlussbild des zweiten Akts mit dem am Boden daniederliegenden (toten?) Riesen wird schon durch die Autoren konterkariert mit dem letzten Auftritt des Frühlings. Besetzt mit einem Koloratursopran begegnet uns diese Natur-Verkörperung auf zauberhafte Weise durch das ganze Werk hindurch. Eine Konstante, auf die wir uns schlussendlich immer wieder verlassen dürfen. Die Regie wird versuchen, in umgekehrter Analogie zum ersten Finale, dieses große „Dennoch“ angesichts alles Schrecklichen, diesen immer wiederkehrenden Neubeginn mit einem letzten, im Werk nicht vorgeschriebenen Auftritt deutlich machen.

Weitere schönste Gelegenheiten für immer wiederkehrende Brechungen des Geschehens, für Relati­vierungen, Momente des Innehaltens sind zum Beispiel mit der Figur des Menschenfressers, der gar keinen Spaß an seiner „Profession“ hat, gegeben, und mehr noch in einer Person, die in der Wilde­schen Vorlage überhaupt nicht enthalten ist: Vogg und Schedl haben dem Riesen eine Haushälterin dazuerfunden. Keine Riesin, von eigenartig schöner Aura, für uns ein geheimes Zentrum des Ge­schehens. Diese Figur, zwischen dem Riesen und den Kindern stehend, schafft nüchtern-betrachtende Distanz zu den Verwirrungen der Gefühle und hält mit einer melancholischen Arie im zweiten Akt einen berührenden Abgesang auf die zwangsläufig immer wieder untergehende Welt der Eltern­generation. Mit dieser herbstlichen Figur ist dem Frühling eine zweite Vertreterin des Weiblichen beigesellt, äußerst wichtig in dieser Welt der Riesen, Zwerge, Menschenfresser.


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