RIESE, ZWERGE, MENSCHENFRESSER Opern-Uraufführung nach Oscar Wilde |
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Szenenfoto
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Inhalt |
Während Oscar Wildes Riese Jahr für Jahr so sehnsüchtig wie vergeblich auf die Wiederkehr des von ihm geretteten Kindes wartet, wandeln sich im 2. Akt dieser Oper des Autorenduos Vogg-Schedl die Kinder zu Typen aus dem Rocker-und Punker-Milieu ... |
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Stab |
Libretto:
HERBERT VOGG Ein Auftragswerk des
Carinthischen Sommers Musikalische Leitung: PETER
KEUSCHNIG |
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Besetzung |
Riese Bärbel Frühling Hagel Tenorsaxophon |
Robert Holzer Judith Kopecky Christine Whittlesey Dietmar Kerschbaum Thomas Schön |
Komponist und Regisseur |
Gerhard Schedl |
Manfred Roth |
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geb. 1957 in Wien, Werke
u.a.: |
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geb. 1950, Frankfurt, Regiearbeiten
u.a.: Opern-Inszenierungen: Schauspieler
u.a. bei: |
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Die Idee zur Oper |
Anfangs der 90iger Jahre war ich bemüht einen Stoff für eine neue Kinderoper zu finden. Nach dem internationalen Erfolg meiner ersten kammermusikalischen Kinderoper „Der Schweinehirt“ (1981), die ich nach der Geburt meines Sohnes Johannes für ihn geschrieben hatte, wollte ich meinem zweiten Sohn Andreas ebenfalls ein Musiktheaterstück dedizieren. Die Wahl des Sujet fiel auf Anraten meiner Frau auf das Märchen „Der selbstsüchtige Riese“ von Oskar Wilde, das sie schon oft meinen Jungs vor dem Zubettgehen vorgelesen hatte. Zusammen mit Herbert Vogg konnte ich daran gehen aus der kurzen Wild’schen Prosa eine bühnentaugliche Dramaturgie für ein zeitgenössisches, politisch-engagiertes Bühnenstück zu entwickeln, das sich nach und nach von einem Märchen für Kinder zu einem Jugendstück und letztendlich zu einem allgemein gültigen Musiktheater gewandelt hat. Die Parabel vom Kind und Riesen, welche von christlicher Verkündigungssymbolik spricht, war so nicht zu halten. Vom Anfang an war mir klar, daß die Geschichte einerseits wertneutral und dennoch ethisch nachvollziehbar in unsere Zeit transferiert und anderseits dramatisch weitererzählt werden sollte. Die eigentliche Idee war allerdings in einer radikalen, aus der Befragung der Originalstory resultierenden Sichtweise zu suchen, die sich in der gleichsam dialektischen Brechung der einzelnen musikalischen und dramaturgischen Parameter manifestieren mußte. Besonders in der Ambivalenz unterschiedlicher Zeit- und Erfahrungsebenen von Jung und Alt, von fiktiver Märchen- und realer Jetztwelt spiegeln sich die gewählten Sprach- und Musikmuster in Gestus und Textur wieder. So wie in der Veränderung der niedlichen „Kleinen“ zu uniformen „Großen“ – als Jugendbande organisiert und in der Gestalt überdimensionaler Puppen paraphrasiert, und von mystisch zu fürchtenden Riesen/Menschenfresser zu alten, gebrechlichen, fast schon ängstlichen Menschen eine analoge Transformation von Sprache und Musik eintritt, so werden aus den allegorischen Figuren der „4 wilden Gesellen“ (Hagel, Schnee, Nordwind und Winter) tatsächliche Personen eines heutigen kriminellen Milieus. Konflikt, Schuldit treffen in dieser Konstellation in besonderem Maße aufeinander. Gerade solche menschlichen Grundbedürfnisse sind in ihrer didaktischen Notwendigkeit zeitlos. Die Ironie besteht nun darin, daß aus einer märchenhaften Parabel eine neue, nicht weniger idealistische entstanden ist und in gewisser Weise macht mich das zufrieden. und Läuterung der Wild’schen Vorlage werden also in der Brechung des ersten Aktes in seiner bewußt naiven, märchenhaft-idealisierenden Kolorierung, durch den nüchterneren, realistischen zweiten Akt auf eine heutig-nachvollziehbare Ebene projiziert. Ist der 1. Akt in seiner musikalischen und dramaturgischen Anlage bewußt naiv, ja verniedlichend – eben wie sich Erwachsene gerne die Welt von Kindern vorzustellen pflegen - , so muß der 2.Akt schon als traumatischer Bruch in eine unprosaische Realität empfunden werden. Demgegenüber verkörpern lediglich zwei Frauenfiguren eine allgemeingültige Konstante der Hoffnung und der Geborgenheit in der nicht gebrochenen Allegorie des Frühlings und der Metapher der „Mutter Erde“ in der Gestalt der Julia, der „Haushälterin“ des Riesen. Fiktion und Wirklichkeit treffen in dieser Konstellation in besonderem Maße aufeinander. Gerade solche menschlichen Grundbedürfnisse sind in ihrer didaktischen Notwendigkeit zeitlos. Die Ironie besteht nun darin, daß aus einer märchenhaften Parabel eine neue, nicht weniger idealistische entstanden ist und in gewisser Weise macht mich das zufrieden. |
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Gedanken zur Regie |
Ist man davon überzeugt, dass die Interpretation eines Kunstwerks immer zuerst an seinen Brüchen und Widersprüchen anzusetzen habe, fällt einem der Einstieg in die konzeptionelle Arbeit an der neuen Oper „Riese, Zwerge, Menschenfresser“ ziemlich leicht. Quer durch das Stück, zu dem Herbert Vogg das Libretto verfasst und Gerhard Schedl die Musik komponiert hat, geht, von den Autoren genau berechnet und definiert, ein abgrundtiefer Riss. Im ersten Akt herrscht musikalisch wie textlich ein märchenhafter Grundton. Und gewiss folgen die Grundzüge der Handlung zunächst der Vorlage, nämlich Oscar Wildes Märchen vom selbstsüchtigen Riesen, der die Kinder nicht in seinem Garten spielen lassen will, deswegen eine Mauer hochzieht und ein Verbotsschild aufstellt. Genau diese Mauer und, so ist es gemeint, die Hartherzigkeit des Riesen, bewirken aber auch, daß der Frühling nicht in den Garten kommt. Dort setzt sich der Winter mit seinen Spießgesellen Nordwind, Schnee und Hagel fest. Erst als, verbotenerweise, wieder Kinderfüße den Gartenboden betreten, haben die Blumen Lust zum Blühen und schlagen die Bäume aus. Der Riese erkennt seinen Fehler, wird mild, hilft insbesondere dem scheuesten der Kinder und wird mit der Zuneigung dieses Knaben belohnt. Alles wird gut, alle sind glücklich. Im denkbar größten Gegensatz dazu steht der zweite Akt. Schedl schlägt musikalisch krasse, sperrige Töne an, die Atmosphäre ist definitiv heutig. Die Sprache lehnt sich daran an. Aus den vier wilden winterlichen Gesellen, die im ersten Akt mit fast musical-ähnlichen Shownummern auftrumpften, sind Drogendealer geworden. Die Kinder des ersten Aktes sind nun Halbwüchsige und bewegen sich im entsprechenden Milieu. Bei Oscar Wilde wartet im weiteren Verlauf der Riese jahrelang auf die Rückkehr des Knaben, den keines der anderen Kinder gekannt hat. Erst am Ende seines Lebens erblickt er ihn wieder unter einem Baum stehend, es wird klar, dass es sich um das Jesuskind handelt, das nun gekommen ist, den Riesen zu sich, in den Garten des Paradieses mitzunehmen. Bei Vogg und Schedl wird aus dem verführerischen Garten des Riesen eine dürftige Schrebergartenidylle, der Riese selbst ist ein altes Männlein geworden. Und dasjenige der „Kinder“, das sich am deutlichsten von den anderen abhebt, ist nicht mehr der stille scheue Knabe sondern Hannes, ein schon im ersten Akt angeberischer und leicht betrügerischer Bursche, der nun, heroinabhängig, längst zum Dieb geworden, überschuldet in den Fängen der Dealer zappelt, verzweifelt seine Freunde um Hilfe anfleht. Er ist es auch schließlich, der, erwischt bei dem Versuch, den alten Riesen zu berauben, ihn mit einer Eisenstange niederstreckt. Und dennoch zieht der Frühling erneut ein und kündet von Hoffnung. Wie geht das zusammen? Und soll es überhaupt zusammengehen? Es wird in der Aufführung etliche formale Elemente geben, die die Disparatheit der beiden Teile betonen. Alleine dadurch, daß die Jugendlichen des zweiten Teils durch Puppen dargestellt werden, ist eine andere Ebene betreten. Zusammen mit den Mitgliedern des Klappmaul Theaters wurden dafür Leitlinien festgelegt: Offene Führung, d.h. die Spieler sind zu sehen. Verzerrung der Dimensionen. Während der Riese mit den anderen Personen seiner Welt eigentlich „kleiner wird“, werden die Puppen hochgeschossen sein, eigentlich „zu groß“, herausgewachsen. Diese Jugendlichen singen auch nicht mehr, sie sprechen. Hierfür soll eine zitierende, rhythmisch formalisierte Sprechweise gefunden werden, die obendrein nicht direkt sondern über Mikrophon in den Saal gelangt. Gleichwohl sollen auch die (selbstverständlich erwachsenen) Sänger, die die Kinder des ersten Aktes verkörpern, gelegentlich präsent sein, so dass sich durch Doppelung, fast Verdreifachung der Personen hyper-reale Bilder ergeben. Keinesfalls angestrebt ist naturalistische, quasi dokumentarische Heutigkeit. Nicht einfach eine Fortschreibung in eine als gefährlich begriffene Gegenwart sei Ausdruck dieses zweiten Aktes, eher eine sich aus den unter den Teppich gefegten Restschulden des ersten Aktes herausentwickelnde Hochrechnung, eine Angstvision. Pascale Arndtz setzt mit ihrem Bühnenbild die Mauer des ersten Aktes als ebenso klares Zeichen wie die „ausgepackte“, sprich ernüchternde Gartenwelt des Riesen. Bei so vielen Gegensätzen, der Handlung bewusst eingeschriebenen Brüchen ist (in dialektischer Umkehrung des eingangs Erwähnten) allerdings auch herauszuarbeiten, wie sich der erste Akt zum zweiten bindet. Die große Versöhnung des ersten Finales, musikalisch sehr ausgebreitet, soll als brüchige gezeigt werden. Im glücklichen Schlussbild muss sowohl die Schuld des Riesen (für ein Kind ist jeder Erwachsene ein Riese, und ebenso gigantisch sind seine Verbote), der zweifelhafte Charakter des Hannes und die Angst aller, wie es weitergehen soll, enthalten sein. Was wird aus der nachkommenden Generation? Was für eine Welt bereiten wir ihr? Welche Fehler haben wir mit ihr gemacht? Können wir sie nicht für immer behüten? Woher ist Sicherheit zu bekommen? Viele offene Fragen, Ängste angesichts eines vorläufigen happy end. Die Bühne, die Personenführung, beides wird ironische Gegenbehauptungen zur musikalischen Apotheose aufstellen. Und dieses Schlussbild wird zum Beginn des zweiten Aktes wieder anzitiert, nicht als Kitt sondern als Klammer, die zeigt, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Das weitaus traurigere Schlussbild des zweiten Akts mit dem am Boden daniederliegenden (toten?) Riesen wird schon durch die Autoren konterkariert mit dem letzten Auftritt des Frühlings. Besetzt mit einem Koloratursopran begegnet uns diese Natur-Verkörperung auf zauberhafte Weise durch das ganze Werk hindurch. Eine Konstante, auf die wir uns schlussendlich immer wieder verlassen dürfen. Die Regie wird versuchen, in umgekehrter Analogie zum ersten Finale, dieses große „Dennoch“ angesichts alles Schrecklichen, diesen immer wiederkehrenden Neubeginn mit einem letzten, im Werk nicht vorgeschriebenen Auftritt deutlich machen. Weitere schönste Gelegenheiten für immer wiederkehrende Brechungen des Geschehens, für Relativierungen, Momente des Innehaltens sind zum Beispiel mit der Figur des Menschenfressers, der gar keinen Spaß an seiner „Profession“ hat, gegeben, und mehr noch in einer Person, die in der Wildeschen Vorlage überhaupt nicht enthalten ist: Vogg und Schedl haben dem Riesen eine Haushälterin dazuerfunden. Keine Riesin, von eigenartig schöner Aura, für uns ein geheimes Zentrum des Geschehens. Diese Figur, zwischen dem Riesen und den Kindern stehend, schafft nüchtern-betrachtende Distanz zu den Verwirrungen der Gefühle und hält mit einer melancholischen Arie im zweiten Akt einen berührenden Abgesang auf die zwangsläufig immer wieder untergehende Welt der Elterngeneration. Mit dieser herbstlichen Figur ist dem Frühling eine zweite Vertreterin des Weiblichen beigesellt, äußerst wichtig in dieser Welt der Riesen, Zwerge, Menschenfresser. |
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